Filmvorführung und Gespräch mit Beate Niemann, 20.10.2011, Kulturzentrum Rex, Belgrad
„Mein Vater war ein Mörder“ - Die Tochter des Gestapo-Chefs von Belgrad stellt ihre Nachforschungen über die Verbrechen ihres Vaters vor
Fotos: Nikola Radić Lucati
Filmvorführung und Gespräch mit Beate Niemann
Moderation: Rena Rädle
Simultanübersetzung in Deutsch und Serbisch
Auf der Suche nach der Wahrheit über ihren Vater Bruno Sattler kam Beate Niemann im Jahr 2001 zum ersten Mal nach Belgrad. Als Chef der Gestapo stand ihr Vater in direkter Verantwortung für die Vernichtung der jüdischen Frauen und Kinder aus dem Lager Sajmište. Auf der Recherche über die Verbrechen Sattlers wurde Beate Niemann ein Jahr lang von dem Dokumentarfilmer Yoash Tatari begleitet. Der entstandene Dokumentarfilm „Der gute Vater. Eine Tochter klagt an” wird am Donnerstag, den 20. Oktober 2011 im Kulturzentrum Rex erstmalig in Belgrad gezeigt. Im Anschluss spricht Beate Niemann über ihre Erfahrungen während der Nachforschungen und steht dem Publikum zum Gespräch zur Verfügung.
Jahrzehntelang hatte die Familie ihren Vater für ein „unschuldiges Opfer der DDR-Justiz“ gehalten. Seine Kollegen, beispielsweise Sattlers Vorgesetzter und Chef des SD Serbien Emanuel Schäfer, waren in der BRD längst auf freiem Fuß. Während Sattler in der DDR zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, wurde Schäfer in der Bundesrepublik nach 3 Jahren entlassen. Mit der Absicht, ihren Vater zumindest posthum zu rehabilitieren, stellte Beate Niemann nach der Wende einen Antrag auf Rehabilitation und beantragte die Einsicht in die Stasi-Unterlagen bei der Gauck-Behörde. Als sie von den grausamen Verbrechen erfuhr, die ihr Vater in Russland, Serbien und anderen deutsch besetzten Gebieten begangen hatte, war sie geschockt. Sie beschloss, sich der Geschichte ihres Vaters zu stellen und begab sich auf die Suche nach Dokumenten über seine Gräueltaten, die sie auch nach Belgrad brachte. Auf dem ehemaligen Lagergelände traf sie sich mit Liljana Djordjević. Sie hat das jüdische Lager als Kind überlebt und sprach mit Frau Niemann über ihre Erinnerung daran, wie die Menschen mit den Gaswägen abtransportiert wurden.
Der Film porträtiert eine Frau, die sich kompromisslos der Vergangenheit ihres Vaters stellt, zeigt aber auch, dass sie mit dieser Haltung nicht immer auf Verständnis stößt. Tatari verbindet die Dokumentaraufnahmen von Niemanns Recherchen zu einer spannenden Geschichte. Dass er dabei ganz ohne Kommentator auskommt, macht den Film besonders authentisch.
Der Film wird im Original mit englischen und serbischen Untertiteln gezeigt, das Gespräch mit Frau Niemann wird mit Simultanübersetzung auf serbisch und deutsch geführt. Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Besuch der Alten Messe. Kriterien und Maßstäbe von Erinnerung“ statt und wird vom Kulturzentrum Rex realisiert.
Weitere Informationen sind im Internet unter starosajmiste.info abrufbar.
Die Veranstaltung wird ermöglicht durch die Rosa Luxemburg Stiftung und das Goethe-Institut Belgrad.
„Der gute Vater – eine Tochter klagt an“ (2003)
88 min
Deutsch/Serbisch mit Englischen und Serbischen Untertiteln
Autor und Regisseur: Yoash Tatari
Kamera: Thomas Giefer, Florian Giefer, Pavel Schnabel, Stefan Thiessen, Michael Schehl, Miša Milošević
Ton: Mario Köhler, Oliver Klein, Milan Stojanović
Schnitt: Yoash Tatari
Produktion: Eine Tatari Film Produktion im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks
Ausgezeichnet mit der Goldmedaille als bester Dokumentarfilm in seiner Kategorie und mit dem Grand Award der New York Festivals
Die historischen Fakten:
8. Dezember 1941
Die Gestapo für Serbien gründet das Lager auf Sajmište unter dem Kommando der SS. Nachdem man ihre Männer erschossen hatte, werden die jüdischen und Roma Familien, überwiegend Frauen, Kinder und Alte, in das Judenlager Semlin gebracht. Insgesamt waren etwa 6400 Jüdinnen und 600 Roma interniert. Eine der ersten Gefangenen war die Krankenpflegerin Hilda Dajč. Vier ihrer Briefe aus dem Lager sind erhalten.
März 1942
In der zweiten Märzhälfte treffen die Offiziere Wilhelm Goetz und Erwin Meyer mit dem Vergasungswagen in Belgrad ein, einer Spezialanfertigung der Marke Saurer, die zur Massentötung von Menschen entwickelt worden war. Am 18. und 19. März 1942 setzt die deutsche Polizei alle Ärzte und Patienten im Jüdischen Krankenhaus in der Visokog Stevana Strasse fest (heute befindet sich dort die Defektologische Fakultät, vor der Besatzung war es das Gebäude der Jüdischen Frauengemeinschaft). Mit ihnen werden auch die Belegschaft und die Patienten verhaftet, die eine Straße weiter im Gebäude des Jüdischen Kulturvereins Oneg Shabbat in der Jervrejska Str. untergebracht waren. Zwischen dem 19. und dem 22. März 1942 werden 700-800 Jüdinnen und Juden dieser Gruppe mit dem Vergasungswagen weggefahren und erstickt. Ihre toten Körper werden in vorbereiteten Gruben in Jajince bei Belgrad vergraben.
Anfang April–10. Mai 1942.
Den jüdischen Frauen und ihren Familien wird mitgeteilt, dass sie in ein anderes Lager nach Polen oder Rumänien verlegt werden. Es wird ihnen gesagt dass sie ihre Sachen in Pakete schnüren und mit Name und Adresse versehen sollen. Alle wurden im Vergasungswagen erstickt, auf dem Weg über die Pontonbrücke, quer durch Belgrad und bis nach Jajince. Dort werden ihre toten Körper vergraben, zusammen mit den Leichen anderer Häftlinge. Zwischen 1943-44 werden die Leichen exhumiert und verbrannt, um die Spuren zu verwischen. Die Verantwortlichen für die Vernichtung der jüdischen Familien waren Emanuel Schäfer, Befehlshaber des SD in Serbien, Bruno Sattler, Chef der Gestapo in Belgrad, sowie der Kommandant des Judenlagers Semlin, Herbert Andorfer, mit seinem Helfer Edgar Enge. Emanuel Schäfer wurde in der BRD zu etwa 5 Jahren, Bruno Sattler in der DDR zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
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