Veran Matić
Chefredakteur des Belgrader Rundfunk- und Fernsehsenders B92 und Initiator der „Initiative for Memorial Education Centre“
Foto: Nikola Radić Lucati
Sie sind mit der Gründung des Kulturzentrums „Rex“ mit Dorćol und der Jüdischen Kultur in Berührung gekommen. Damals haben sie eine Ausstellung gemacht mit dem Titel „Juden: die verschwundenen Nachbarn“ und kürzlich auch einen Dokumentarfilm über Staro Sajmište. Woher kommt ihr Interesse für das Thema?
Ich habe keinen direkten Bezug zu Staro Sajmište. Es geht auch nicht um eine Sensibilität für die jüdische Frage per se, sondern vielmehr um eine Sensibilität gegenüber den Themen Zerstörung, Vernichtung und Gewalt. Dieses Thema hat mich früher schon interessiert, als ich begonnen habe, als Journalist zu arbeiten. Der Aspekt, der mich besonders interessiert, hängt mit dem Beginn der Jugoslawienkriege zusammen. Ich habe dort Muster erkannt, wie sie bereits bei früheren historischen Ereignissen aufgetreten sind. Und da habe ich verstanden, dass wir ständig dieselben Fehler wiederholen, weil wir im Zusammenhang mit der Entstehung von Gewalt nicht genügend Wissen über unsere eigene Geschichte und die Weltgeschichte besitzen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich versucht habe, die Aufmerksamkeit in diese Richtung zu lenken: Es geht um die Thematisierung aktuelle Ereignisse, indem wir an ähnliche Geschehnisse in der Vergangenheit erinnern.
So kam ich schließlich zu „Rex“, zur Jüdischen Gemeinde und den ersten Ausstellungen. Es gibt so viel Unwissen, weshalb wir es nicht geschafft haben, die Gesellschaft vor der Gewalt und der Kriegstreiberei der 1990er Jahre zu bewahren. Meine Absicht war es deshalb, die Ignoranz in eine kollektive Erinnerung zu transformieren, so dass parallel zu aktuellen Entwicklungen eine direkte politische Botschaft vermittelt werden kann, um damit ein Anti-Kriegsklima in dieser Region zu etablieren.
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige politische und medialen Landschaft rund um Staro Sajmište?
Sajmište und der Holocaust wurden jahrelang ignoriert. Zunächst einmal wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Bedeutung dieses Ortes aufgrund einer sehr kurzsichtigen Politik vernachlässigt. Der Holocaust in Sajmište, der in der Tat der wichtigste Ort ist, wenn es um den Holocaust in Serbien geht, ist etwas, mit dem, so scheint mir, auch die frühere Jüdische Gemeinde nichts zu tun haben wollte – zumindest während der Regierungszeit von Tito. Während dieser Zeit legte die Jüdische Gemeinde keinen Wert darauf, dass es einen Holocaust in Jugoslawien gegeben hatte, weil es nicht im Interesse war, eine einzige Nation hervorzuheben, in diesem Fall die Juden. Der Slogan damals war „Brüderlichkeit und Einheit”. Das implizierte auch, dass es „Brüderlichkeit und Einheit” auf der Seite der Opfer des Zweiten Weltkriegs geben sollte.
Der zweite Grund ist, dass die Beziehungen zur Jüdischen Gemeinde nach dem Krieg sehr schlecht waren und viele Juden nach Israel emmigrierten. Nur eine kleine Gemeinschaft blieb hier, die es aber nicht schaffte, die Frage auf die politische Agenda zu setzen.
Der dritte Grund ist, dass der serbische Nationalismus nicht akzeptieren wollte, dass die Kollaborations-Regierung diesen Holocaust zusammen mit den Deutschen ausführte. Es gibt also ein ganzes Spektrum von Gründen, wobei der letztgenannte der dominierende in den letzten 25 Jahren war. Seit dem Aufstieg des serbischen Nationalismus wurden zwar Anstrengungen unternommen, uns selbst und Juden gleichermaßen als Opfer zu bestimmen, indem Organisationen serbisch-jüdischer Freundschaft gegründet wurden. Im Endeffekt aber wurden die wichtigen Fragen wie die Erinnerung an den Holocaust und das Entwickeln von Gewaltfreiheit nie angesprochen, sondern es ging nur um Tagespolitik. Die jüdische Frage und der Holocaust sind da auf eine Art missbraucht worden.
Ihr Ziel ist es, ein „Museum der Toleranz“ auf Staro Sajmište zu errichten. Wie schreitet das Projekt voran?
Wir wollen die Einwohner von Belgrad und Serbien mit all jenen Formen der Gewalt vertraut machen, durch die die Menschheit gegangen ist. Auf der anderen Seite ist es offensichtlich, dass es ein Holocaust Museum geben muss. Das jüdische Museum besitzt Dokumente und Artefakte, die sich auf Staro Sajmište beziehen und die für die Dauerausstellung verwendet werden könnten. Das andere zentrale Projekt ist das Museum über das Konzentrationslager Staro Sajmište. Das alles ist keineswegs besonders schwierig. Aber es ist wichtig, dass die Stadt und der Staat versteht, dass dieser Komplex als eine Pilgerstätte verstanden werden sollte, die Menschen für einen ganzen Nachmittag aufsuchen. Ein Platz, der nicht nur der Erinnerung dienen sollte, sondern auch einen kulturellen Inhalt vermittelt und der Bildung dienen kann – ein Platz, der Gewalt vorbeugt und Toleranz fördert.
Das größere Problem ist allerdings der politischen Wille, um Staro Sajmište der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es gibt auf dem Gelände einige Gebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg besetzt wurden. Ich habe mich politisch sehr dafür eingesetzt, habe auf allen Ebenen Lobbyarbeit betrieben, bis hin zum Präsidenten. Jeder ist für das Projekt, aber erst in den letzten Monaten war genug Engagement vorhanden, um Dinge zu realisieren. Ich hoffe, dass in den nächsten Wochen – der Bürgermeister gab mir hierzu sein Wort – eine Kommission für Staro Sajmište gegründet wird, die für die Planung des Geländes, die Umsiedlung der derzeitigen Bewohner und die Rekonstruktion der Gebäude zuständig sein wird.
Das Gebäude, in dem die Bewohner am einfachsten umgesiedelt werden können, ist der italienische Pavillon, weil hier nur einige wenige Menschen leben. Soweit ich weiß, gehört dieser Pavillon der Vereinigung der visuellen Künstler. Die Stadtregierung wird mit ihnen verhandeln können und ihnen ein neues Gebäude zuweisen. Ich glaube, es gibt nur eine Familie, die dort illegal wohnt. Dieses Gebäude ist jedenfalls das Objekt, das am einfachsten zu rekonstruieren ist, um es in ein Erinnerungszentrum umzuwandeln, das dann den Mittelpunkt des zukünftigen Komplexes bilden würde. Das nächste Gebäude, das aus Sicherheitsgründen geräumt werden müsste, ist der zentrale Turm. Dort leben zwischen 16 und 18 Familien, und es wird nötig sein, Ateliers und andere Ausweichgebäude zu finden. Das größte Problem ist, dass die Leute, die dort Ateliers bekommen haben, sie auch als Wohnbereich nutzen. Das heißt, sie werden Wohnungen fordern, was der Stadtregierung Kopfschmerzen bereiten wird. Ich würde diesbezüglich vorschlagen, dass das Justizministerium sich dieser Sache annimmt, da es vor einiger Zeit Mafia-Gelände konfisziert und zur Verfügung gestellt hat. Dieses Gelände könnte zur Umsiedlung der Bewohner von Staro Sajmište verwendet werden. Es gibt auch einen Gerichtsfall, der das Café betrifft, das sich in einem Teil des alten türkischen Pavillons befindet. Es wurde vor zwei Jahren eröffnet, obwohl ich die Stadtverwaltung davor gewarnt hatte, dass so etwas passieren würde. Die Stadtverwaltung von Neu-Belgrad annullierte daraufhin den Vertrag mit dem Café, aber es existiert weiterhin.
Sie meinen das “Salt and Pepper” hinter dem Gedenkstein?
Ja, das neben dem Poseidon. Das ist das schwierigste Problem. Das Café wurde unter bestimmten Konditionen privatisiert, weshalb es sehr schwierig sein wird, dieses Gebäude für den Komplex zu gewinnen. Die Stadtverwaltung müsste eine beträchtliche Kompensationssumme bereit stellen. Wenn das gelingen würde, hätten wir ohne weiteres eine großartige Ausstellungsfläche. Zu den größten Problemen zählen auch die Baracken in der Nähe von Sajmište, die dort illegal gebaut wurden und sich nicht als Wohnorte eignen, weil sie nicht an die Kanalisation angeschlossen sind. Wenn dieses Problem gelöst wäre, hätten wir ein großes Gebiet von der alten Brücke bis zum Zeitgenössischen Kunstmuseum, ein Komplex von beträchtlichem historischem und architektonischem Wert. Schließlich wurde Sajmište 1937 als moderner architektonischer Komplex erbaut. Um es zusammenzufassen: Die Bedeutung eines solchen Komplexes würde nicht nur der Erinnerung dienen, sondern hätte auch kulturellen Bedeutung. Serbischen Bürgern und Touristen würde es vermitteln, was hier in der Vergangenheit geschehen ist.
Immer wenn wir gesagt haben, dass wir ein Museum für Toleranz als Dachorganisation brauchen, genau deshalb, um eine Instrumentalisierung zu vermeiden, sind wir bei bestimmten Teilen der serbischen Gesellschaft auf starken Widerstand gestoßen – bei denjenigen, die sich für ein Genozid Museum einsetzen. Und hier wird die Absicht politischer Instrumentalisierung deutlich: Sie würden hier gerne ein zweites Jasenovac errichten. Weil sie keinen direkten Zugriff auf das Memorial in Jasenovac in Kroatien haben, hätten sie hier in Belgrad gerne ein Objekt, das den Genozid an den Serben bezeugen soll. Auf der anderen Seite ist für die Jüdische Gemeinschaft ein Holocaust Museum am wichtigsten. Ich denke auch, dass hier ein Holocaust Museum hingehört, aber als ein Teil der Gedenkstätte. Denn hier ist der einzige Ort des Holocausts auf dem Gebiet Serbiens. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir die Initiative auf eine eine möglichst breite Ebene verlagern, um so politische Instrumentalisierungen und Missbrauchsversuche zu vermeiden, die uns sonst nur noch weiter von einer Lösung entfernen.
Das Interview wurde geführt am 21.07. 2010 im Rahmen des Rechercheprojekts „Besuch auf Staro Sajmište“